Wir konnten es kaum erwarten, aus dem usbekischen Backofen rauszukommen. Gelockt hat der Nordwesten Tadschikistans mit frischer Höhenluft, glasklaren Seen und atemberaubenden Bergen bis zu 5500m hoch. Gelandet sind wir in den Fann Mountains und im Jaghnob Tal. Doch was aussah wie die Schweiz, entpuppte sich als Herz des Sogdischen Kulturraums.
In dieser unzugänglichen Gegend haben vor längst vergangener Zeit die Sogder, gläubige Zoroastrier aus dem Ostiran, Zuflucht vor den Arabern gesucht. Die Sogder waren die Herren der Seidenstrasse. Sie waren ein umtriebiges und weltgewandtes Volk, welches durch diplomatisches Geschick zwischen dem 6. bis zum 8. Jahrhundert die Karawanen-Routen zwischen Korea und der Krim kontrollierten. Allzu grosser Machthunger führte letztlich zum Niedergang dieses Volkes. Nach der Invasion der Araber im 8. Jahrhundert flüchteten viele schliesslich in die unzugängliche Bergwelt, um sich nicht zum Islam bekennen zu müssen.
Dass man heute überhaupt auf einer Strasse in diese Täler kommt, ist den Sowjets zu verdanken. Was wir vorfinden, sind einfache Steinhäuser und Viehställe, die uns nur erahnen lassen, wie hart das Leben hier ist. Die Jagnhober sind Selbstversorger und und handeln meist mit anderen Siedlungen aber unabhängig von der Aussenwelt. Viele Häuser wirken zudem verlassen. Entweder, weil sie im vergangenen Winter den Schneemassen nicht standhalten konnten oder weil sie zurückgelassen wurden. Bereits in Zeiten von Stalin wurden die Menschen zwangsumgesiedelt, um in der Landwirtschaft zu arbeiten. Viele sind nie in ihre Täler zurückgekehrt. Mit unserem knallroten Auto mit Hubdach wirken wir hier wie von einem anderen Planeten. Selbsterklärend, dass sich ganze Dörfer um unser Auto scharen. Hemmungen gibt es dabei keine. Klein und Gross würde am Liebsten ins Auto klettern. Hier spüren wir eine kulturelle Diskrepanz zwischen Nähe und Distanz.
97 Prozent von Tadschikistans Fläche sind Berge. Schotterpisten schlängeln sich quer durchs Land. Richtung Pamir fahrend, präsentiert sich uns ein Flickenteppich von Schlaglöchern, wir drängen uns im Schritttempo an entgegenkommenden Trucks vorbei und müssen akzeptieren, dass es als Alternative zu einer eingestürzten Brücke über einen tosenden Gebirgsbach nur einen steilen Serpentinenweg gibt. Hat man die berüchtigte Nord-Route nach Qala-e-Khum geschafft, fährt man anschliessend kilometerweit dem Panj entlang. Auf einer Länge von rund 900 Kilometern bildet der Fluss die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. “Grenzen erfahren” wie wir es uns auch vorgestellt haben. Das Nachbarland liegt wild, reizvoll und gefühlt kaum eine Armlänge entfernt auf der anderen Flussseite.
Wir sind neugierig, ein Kribbeln kommt auf. Afghanistan. Das sind Taliban, Terroristen, Krieg. Was wir drüben sehen, sind Menschen. Bauern, die ihr Vieh hüten. Kinder, die auf Eseln reiten. Felder, die von Familien bewirtschaftet werden. Sollen wir rüber? Oder nicht? Die Neugierde siegt. Sind wir doch nicht nur hier, um Grenzen zu erfahren, sondern vor allem auch, um eigene Grenzen zu überwinden!
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