Es gibt drei Dinge, die wir immer mit Kasachstan verbinden werden: Die endlose Steppe mit ihren dramatischen Sonnenuntergängen, Grossstädte, die mit lieblos aneinandergereiten Prachtbauten prahlen und eine kleine, aber doch riskante Wanderung im Südosten des Landes.
Im flächenmässig neuntgrössten Staat der Erde kann man sich verlieren. Der grösste Teil dieses riesigen Landes besteht aus Steppen und Wüsten, baumlos und flach. Da wirken Almaty und Umgebung wie das Paradies schlechthin. Almaty musste den Titel als Hauptstadt nach der Unabhängigkeit zwar abgeben, ist aber bis heute die grösste Stadt Kasachstans. Sie ist von drei Seiten von riesigen Gebirgen umgeben - einzig nach Norden ist der Blick offen und die Steppe sichtbar. In dieser abwechslungsreichen Region besuchen wir drei Hauptattraktionen – „the golden triangle“ sozusagen:
Da wäre zum einen der Charyn Canyon. Die Schluchtenlandschaft erinnert an den Westen der USA und der Vergleich mit dem Grand Canyon ist naheliegend. Wir wagen eine kleine Wanderung, es ist eigentlich mehr ein Spaziergang. Ums etwas „sportlicher“ zu machen, nehmen wir anstelle des klassischen Rückwegs einen Trampelpfad, der auf unserem Navi eingezeichnet ist. Dieser wird jedoch immer enger und steiler, bis wir uns letztlich in einer ziemlich steilen Wand mit losem Geröll wiederfinden. Ein Zurück ist aufgrund der Rutschgefahr ausgeschlossen und wir kämpfen uns aufs nächste Plateau. Gut, wenn Schutzengel keinen Urlaub machen!
Fährt man weiter Richtung Südwesten, schlängelt sich die Strasse in die Ausläufer des Tien-Shan Gebirges. Nicht nur die schneebedeckten 4000er erinnern an die Schweizer Alpen, das Gebiet beherbergt zahlreiche kristallklare Bergseen. Der spektakulärste davon ist der Kaindy Lake. 1911 hat ein Erdbeben einen Erdrutsch ausgelöst und den Fluss aufgestaut. So ist der smaragdgrüne Kaindy Lake entstanden, aus dem heute abgestorbene Fichtenstämme wie versunkene Schiffsmasten herausragen.
Zum „goldenen Dreieck“ dieser Gegend zählt ebenfalls der Altyn Emel Nationalpark. Auf der einen Seite prägt eine beeindruckende Gebirgskette mit farbigen Lehmbergen das Bild, am anderen Ende des Parks ragen meterhohe Sanddünen (Singing Dunes) aus dem Nichts. Dazwischen ein Meer von Wüste. Hier fühlen wir uns wie in Afrika; dasselbe Licht, dieselbe Atmosphäre, die Sanddünen, der rotgefärbte Boden. Einzig die afrikanische Tierwelt vermissen wir hier schmerzlich.
Wer einmal diese abwechslungsreiche Ecke im Südosten verlässt, hat eigentlich nur ein Ziel: Nursultan – so heisst die offizielle Hauptstadt Kasachstans. Sie hat in jüngster Vergangenheit mehrmals den Namen gewechselt. Bis Anfang 2019 war sie unter Astana bekannt. Danach wurde sie umbenannt, um den langjährigen Machthaber Nursultan Nasarbajew zu ehren. Solche Ehrbekundungen haben auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion eine lange Tradition.
Ein Besuch dieser Retortenstadt lohnt sich, wenn man den Grössenwahn eines Staates mit riesigen Öl- und Gasvorkommen mit eigenen Augen sehen will. Mitten in der Steppe haben Star-Architekten wie Norman Foster überdimensionierte futuristische Bauten aus Stahl und Glas sowie luxuriöse Einkaufs- und Vergnügungszentren aus dem Boden gestampft; der trockene Steppenwind pfeift derweil durch die auf dem Reissbrett konzipierten Strassen und fegt über monumentale Plätze.
Himmel und Hölle. So fühlt es sich an, wenn man nach der herausgeputzten Hautstadt die knapp 200 Kilometer entfernte Industriestadt Karaganda besichtigt. Lange war hier Nomadenland. Dann kam Stalin und dann kamen die Zwangsarbeiter und Häftlinge. Sie haben die Stadt auf- und Kohle in den Minen abgebaut. Insgesamt zählte die Bevölkerung über 150 Nationalitäten. Karaganda wurde dann ein Epizentrum für Arbeitslager oder sogenannte Gulags. Hauptsächlich ethnische Deutsche wurden während Stalins Zeit nach Karaganda deportiert - sie machten in den 1940er Jahren mit 70 Prozent die grösste Bevölkerungsgruppe aus. Heute prägen Plattenbauten, Fördertürme und Fabriken das Stadtbild - und eine dicke Smogschicht von diversen Kohlekraftwerken, die ihre Abgase ohne Filteranlagen in die Atmosphäre pusten. Rund 200’000 Deutsche aus Karaganda und Umgebung leben heute in Deutschland.
Auch sonst bietet Kasachstan ausserhalb der almatischen Region wenig erfreuliches. In keinem anderen Land auf der Welt sind mehr Atombomben explodiert als in Kasachstan, wie ein im 2010 veröffentlichter Bericht der damaligen Sowjetunion offen legte. Mehr als 450 Atombombentests fanden zwischen 1949 und 1989 statt, mehr als 500 atomare Sprengsätze wurden gezündet. Das Testgelände von Semei/Semipalatinsk ist zwar nicht mehr in Betrieb und gewisse Gebiete können heute “auf eigene Gefahr” besichtigt werden. So zeugen verlassene Gebäude, ein Besucher-Museum und verschiedene Krater bis heute vom strahlenden Erbe der nuklearen Vergangenheit der Sowjetunion. Die Bevölkerung leidet bis heute an den Folgen.
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