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AutorenbildFässlerA-way

Grenzenlos. Und dann kam Corona.


Zunächst schien alles grenzenlos. Grenzenlose Freiheit, grenzenlose Abenteuerlust, grenzenlose Reisefreude – von Bern bis Wladiwostok und von Feuerland bis Kolumbien. Kein fester Plan, kein wirklicher Zeitdruck, keine Strasse zu abenteuerlich. Die Welt stand uns offen und wir konnten die unbändige Schönheit der Natur geniessen und hatten mit unserem Schweizer Pass so etwas wie ein Extra-Ass im Ärmel. Und dann kam Corona.

Gerade noch hatten wir Tierra del Fuego verlassen, den Perito Moreno Gletscher bestaunt und weiter nördlich den gleichnamigen Nationalpark erkundet. Dann war die Freiheit vorbei. Seit Mitte März sitzen wir fest. Von heute auf morgen hat die argentinische Regierung per Dekret das Leben im Land buchstäblich still gelegt – wie in vielen Ecken dieser Welt. Das Militär, das seit jeher eine spezielle Rolle einnimmt in diesem Land, sorgt offenbar wenig zimperlich für die Einhaltung der strikten Ausgangssperre. Checkpoints und Strassensperren wurden in Windeseile im ganzen Land aufgestellt und es wurde uns sehr schnell klar: auch hier ist nichts mehr so wie es eben noch war. Die argentinische Regierung spielt den Schwarzen Peter geschickt den Ausländern zu. Touristen hätten das Virus ins Land geschleppt. Dies wurde zwar längst widerlegt, doch die Propaganda wirkt und die Skepsis gegenüber Reisenden nimmt zu.


Wir konnten noch in letzter Minute über die Bezirksgrenze nach El Bolsón, dort unsere Tanks füllen und einkaufen. Seither stehen wir mit Fidel ausserhalb der Kleinstadt auf dem Privatgelände einer Deutschen Aussteigerfamilie und harren der Dinge. In den ersten Tagen waren noch weitere Reisende aus Liechtenstein, der Ostschweiz und Berlin hier gestrandet. Schnell kamen Abenteuer- und Teamgeist auf und wir haben uns auf diesem wunderschönen Stück Land am nördlichen Rand Patagoniens gut eingerichtet. Hängematten wurden aufgespannt, eine Kino-Leinwand zwischen Bäumen befestigt und eine mobile Sauna am Fluss aufgestellt. Seither spielen wir Abends oft Karten, schauen Filme im Waldkino oder sitzen gemütlich am Lagerfeuer. Tagsüber verlegen wir Wasserleitungen, bauen Holzregale für die neue Werkstatt, pflücken Mirabellen und Brombeeren oder fällen Bäume und hacken Holz für den Winter. Einkaufen dürfen wir selber nicht. Alle paar Wochen kauft die Besitzerfamilie das Nötigste für uns mit ein. Daneben kochen wir Konfitüre oder backen Brot, um unsere Vorräte zu erweitern. Struktur braucht der Mensch.



Seit wir hier auf dieser kleinen Farm gestrandet sind, wissen wir, dass es weit und breit weder Mobilfunk noch Internet gibt. In den ersten Tagen und Wochen war das irgendwie ok. Digital Detox tut ganz gut in dieser hektischen Zeit. Hin und wieder fuhren die Besitzer mit unseren Handys durch die Gegend und manchmal hatte man Glück und ein paar Nachrichten kamen rein. Meistens aber nicht. Wir trugen es mit Fassung und hofften aufs nächste Mal. Heute sieht das anders aus.




Mehr und mehr wird uns bewusst wie anstrengend es sein kann, wenn man keinen Zugang zu Informationen hat und keine verlässlichen Quellen konsultieren kann. Es ist zermürbend und geht an die Substanz, wenn man in diesen schwierigen Zeiten nicht mit seinen Liebsten Zuhause regelmässig in Kontakt sein kann.

Auf diesem selbst ernannten Campo No-Coronistan sind wir alle zufällig gestrandet und seither „gemeinsam einsam“. Wir machen zwar das Beste aus der Situation und versuchen, uns so gut es geht zu motivieren. Von schwierigen Situationen haben wir uns bisher nie einschüchtern lassen. Krisen und Versorgungsengpässe haben wir auf unseren Reisen immer wieder mal kennengelernt. Kein Strom, kein Diesel, leere Supermärkte, Umweltkatastrophen, von Krisen geschüttelte Regionen und soziale Unruhen können das Reisen zwar stark einschränken, doch bisher liess sich immer ein Weg finden.

Doch hin und wieder weichen diese Gelassenheit und Abenteuergeist einem veritablen Frust. Hilflosigkeit paart sich mit Ungeduld. Eine ungesunde Mischung auf Dauer.

Das geht nicht nur uns beiden so.

Mittlerweile haben die Ostschweizer und die Liechtensteiner ihre Camper hier eingestellt und sind mit Hilfe der Botschaft von Buenos Aires aus nach Hause geflogen. Berlin und Bern harren weiter aus. Vorläufig. Die Schweizer Botschaft ruft immer wieder auf dem Festnetz der Familie an und möchte wissen, ob wir nun am Repatriierungsprogramm teilnehmen und nach Hause fliegen möchten.

Aber Fidel in Argentinien zurücklassen, ist für uns keine Option. Solange wir keinen Weg finden, ihn sicher nach Europa verschiffen zu können, steigen wir nicht in einen Flieger.

„Grenzen erfahren“ nimmt derzeit eine neue Dimension an. Diese Pandemie hat unser aller Alltag auf den Kopf gestellt und fordert uns heraus. Einmal mehr haben wir gelernt, dass man auf Vieles vorbereitet und dann doch auf so etwas nicht gefasst ist. Uns ist auch bewusst, dass eine Reise bis hoch nach Kolumbien – wie wir sie bis August gerne gemacht hätten - in absehbarer Zeit wohl nicht machbar ist. Aber möchten wir das überhaupt noch? Ist die Lust noch da und brennt das Reisefeuer noch?

Wir sind seit über einem Jahr unterwegs, haben dabei Erlebnisse gesammelt, die für mehr als ein Dutzend Leben reichen. Gerade nach dem letzten Abstecher in die Antarktis haben wir uns immer wieder gefragt „kann man das überhaupt noch toppen?“. Einmal mehr fühlen wir, dass unsere eigenen Speicherplatten satt gefüllt sind. Und es fühlt sich gut an.

Also Zeit, nach Hause zu fahren?


Zum Jahresbeginn (siehe Blogbeitrag) haben wir uns ein paar Vorsätze fürs 2020 notiert: Wir wollen langsamer reisen, mehrere Tage am selben Ort sein, weniger planen, mehr nach dem Lust und Laune-Prinzip handeln, mehr wandern, mehr Zeit mit anderen Reisenden verbringen.

Voilà. In vier Monaten sind wir mit Fidel im Schnitt gut 50 Kilometer pro Tag gefahren. Seit Mitte März haben wir Fidel nicht einen Meter bewegt und eine Reiseplanung ist in der derzeitigen Lage überflüssig. Dafür können wir nach Lust und Laune in den Tag hinein leben, auf rund 100 Hektaren Land rumwandern und verbringen mit anderen Reisenden unzählige Stunden sitzend ums knisternde Lagerfeuer. Das Schicksal hat uns beim Wort genommen!

Was kommt jetzt? Wir wissen es nicht. Wir wissen auch nicht, wie lange dieser Zustand noch dauern wird – diesseits und jenseits der Meere. Und noch weniger wissen wir, was danach kommt. Wird es eine Normalität wie früher geben? Wird man unbeschwert reisen können? Werden die Menschen weiterhin offen sein für Reisende und Touristen? Wird Skepsis zum neuen Begleiter und eine generelle Angst das künftige Miteinander prägen? Werden Herzlichkeit und Gastfreundschaft noch Platz haben? Wir können nur hoffen, sind aber zuversichtlich und glauben an das Beste im Mensch.



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