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AutorenbildFässlerA-way

Afghanistan - Grenzen erfahren am eigenen Leib

Aktualisiert: 19. Nov. 2020


Afghanistan, ein Sehnsuchtsziel? Mitnichten. Ein Abstecher ist aufwändig, unberechenbar, braucht viel Gelassenheit, Kleingeld und Zuversicht. Und wer es doch wagt, erlebt wohl eines der grössten Abenteuer in einem der letzten isolierten Landstriche dieser Welt.








Der afghanische Wakhan Corridor ist ein Seitental des Wakhan Valleys, das sich Afghanistan mit Tadschikistan teilt. Die Grenzstadt Ishkoshim auf tadschikischer und Sultan Ishkashim auf afghanischer Seite wirken wie zwei ungleiche Zwillinge. Kabul lässt ausländische Offroad-Fahrzeuge derzeit nicht mehr ins Land und so ist für Fidel an der Grenze Schluss. Mit einem gemieteten Zelt, ein paar Trekking-Kleidern und genügend Proviant machen wir uns zu Fuss auf nach Afghanistan. Schon bald wird klar: Wir brauchen sehr viel Geduld. Englisch-Kenntnisse sind auf der anderen Seite kaum vorhanden, die Alphabetisierungsrate liegt bei knapp 5 Prozent, so erhält Bürokratie eine ganz neue Dimension.



Die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan ist 1260 Kilometer lang. Die Menschen auf beiden Flussseiten sprechen dieselbe Sprache: Wakhan. Die Volksstämme im Pamir-Gebirge waren einst ein und dasselbe Volk mit derselben Geschichte, Kultur und Religion. Heute sind die Wakhis auf 4 Staaten verteilt: Afghanistan, Pakistan, Tadschikistan und China. Die rund 10'000 Wakhis im afghanischen Corridor teilen sich den Korridor mit einigen tausend kirgisischen Nomaden, die damals mit ihren Yak-Herden vor den Sowjets geflohen sind. Die Bewohner des Wakhan Corridors gehören noch heute zu den meist isolierten Völkern der Welt und leben mehr schlecht als recht von Viehzucht und Ackerbau. Die meisten von ihnen gehören der ismaelitischen Glaubensgemeinschaft an.



Dass es die jetzige Grenze und den Wakhan Corridor überhaupt in dieser Form gibt, ist das Resultat des „Great Game“, das sich im 19. Jahrhundert zwischen dem damaligen russischen und britischen Imperium um die Vormacht in Zentralasien abspielte. Durch die Annexion grosser Gebiete in Zentralasien rückte die Grenze des russischen Einflussgebietes immer näher an den britischen Kolonialbesitz in Indien. Eine Grenzkommission legte die Nordgrenze Afghanistans fest der Streifen des Wakhan Corridors diente fortan als Pufferzone. So konnte vermieden werden, dass britische und russische Kolonialreiche direkt aneinandergrenzen.


Dieser Streifen - die einzige Taliban freie Zone in Afghanistan galt es zu erkunden. Pro Jahr reisen knapp 150 Touristen in den Wakhan Corridor, fast alle mit demselben Ziel: Trekking!

Der Weg von Ishkoshim zu unserem Ausgangsort Sarhad-e Broghil auf 3400m dauert zwei volle Fahrtage, wird immer wieder wegen Steinschlag, Erdrutschen oder Lawinen gesperrt und enthält insgesamt fünf verschiedene Checkpoints. Wir schlafen in traditionellen Pamir-Häusern und bewundern die wunderschönen Menschen in ihren farbigen Kleidern. Die tiefblauen Burkas sucht man bei den Wakhis vergebens, was von den Taliban wiederum mit Argwohn beobachtet wird.



Der Aufwand und die geforderte Geduld sind enorm. Die Mühe lohnt sich. Eingebettet zwischen Hindukusch und Pamir verbringen wir zehn Tage zwischen diesen majestätischen, schneebedeckten Bergspitzen, sieben davon wandernd auf einer Höhe zwischen 3500 und 4200müM. Wobei man Wanderwege im eigentlichen Sinne vergeblich sucht. Es sind schmale Trampelpfade, geprägt von voll beladenen, keuchenden Yaks, Schafen und Ziegen, welche durch diese unwirkliche Gegend führen. Alles wirkt wie aus Raum und Zeit gefallen. Wir haben uns für ein mehrtägiges Trekking zum Lake Chaqmatin entschieden und werden begleitet von einem Pferd und einem Maultier sowie ihren lokalen Betreuern. Die Tiere schleppen unser Gepäck, damit wir uns auf den schmalen und steilen Grad konzentrieren können. Zwei kirgisische Jurtencamps liegen auf dem Weg. Fremde Gäste sind jedoch nicht erwünscht. Nach 150 Kilometer mit 7000 Höhenmetern sind wir wieder am Ausgangspunkt und damit am Ziel. Fix und fertig, mit einem entzündeten Knie und den ersten Erfahrungen mit der Höhenkrankheit. Es war die anstrengendste Wanderung, die wir je unternommen haben. Körperlich wie mental. Und “Grenzen erfahren” hat erneut eine neue Bedeutung erhalten. 



PS: Auf unserer ganzen Reise durch Tadschikistan und Afghanistan fällt in diesem Zusammenhang immer wieder ein Name: Aga Khan. Der spirituelle Führer der Ismailiten ist in dieser Region allgegenwärtig. Er wurde 1936 in der Schweiz geboren und trägt den Titel His Highness Prince Aga Khan IV. Sein Vermögen soll mindestens 10 Milliarden Euro betragen, die Aga-Khan-Foundation ist die grösste private Entwicklungsorganisation der Welt. Besonders hier im Pamir-Gebiet auf beiden Seiten der Grenze geht nichts ohne Aga Khan. Schulen, Spitäler, Förderprogramme, Projekte zu Nahrungssicherheit und Wasserversorgung, etc. – alles trägt den Namen Aga Khan. Allein in Afghanistan hat die Stiftung seit 2002 zusammen mit Partnerorganisationen über eine Milliarde US-Dollar investiert.

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