Die Aussichten auf Usbekistan klangen anstrengend: die Strassen übersät mit Schlaglöchern, Diesel gäbe es nur in abgefüllten Pet-Flaschen an schummrigen Ecken zu kaufen und die Städte der Seidenstrasse sollen überfüllt sein mit Gruppenreisenden. Zudem müsse man sich als Individualreisender mindestens jede dritte Nacht registrieren lassen, um bei der Ausreise an der Grenze keine Probleme zu kriegen. Die Temperaturen lägen im Juni schon vormittags bei rund 40° Grad, auf den Baumwollfeldern soll Kinderarbeit herrschen, und: „Ohne Durchfallerkrankung einen Usbekistan-Urlaub zu überstehen, ist schwierig“, steht in manchem Reiseführer. Grenzenlose Vorfreude entsteht so nicht.
Und als ob die Prophezeiungen eines Beweises bedürfen, begrüsst uns das “Herz Mittelasiens” gleich nach dem Grenzübergang ganz im Westen mit einer Strasse, welche diesen Namen in der Tat längst nicht mehr verdient. Über fast 120 Kilometern zirkeln wir Fidel mit knapp 20 Stundenkilometern um unzählige Schlaglöcher durch die topfebene Steppe Karakalpakstans, einer fast autonomen Provinz Usbekistans. Die Strasse ist eine Zumutung. Die Anzahl Schlaglöcher steigt mit den Temperaturen. Die Quecksilbersäule steigt auf weit über 40° Grad, eine Klimaanlage hat unser Auto nicht, die letzte Mahlzeit ist gefühlte Ewigkeit her und die Anspannung, die sich jeweils bei Grenzübergängen ungefragt einschleicht, verfliegt nur langsam. Perfekte Bedingungen für einen Paar-Streit. Ein kurzer Stopp, ein kleiner Lunch im Schatten einer Busstation und tief durchatmen. Jetzt geht es besser.
Unser erster Stopp: Der Aralsee, fernab jeder Strasse. Trotz und gerade wegen dieser Umwelttragödie ist es ein unwirklicher Flecken, der einem die Tragik mit diesen Fischerbooten, die unbarmherzig vor sich hinrosten, so richtig vor Augen führt. Aus Fischern wurden Hirten. Nicht minder eindrücklich ist unser späterer Besuch am Aydar Kul (Aydar See). Doch: Während der Aralsee schrumpft, ist der Aydar Kul ein durch menschliches Missgeschick entstandener See, dessen Spiegel bis noch vor wenigen Jahren angestiegen ist. Er ist 180km lang und 32km breit und beherbergt heute die Wasservögel aus dem Aral-Gebiet. In dieser Gegend wurden Hirten zu Fischern.
Als wir die Region um den Aralsee verlassen, fahren wir ein erstes Mal Katja und Ruben über den Weg. Die beiden Süddeutschen sitzen eingepackt in Motorradkluft auf ihrer Suzuki DR 650. Es soll nicht die letzte Begegnung sein.
Wir peilen die Seidenstrasse an. Jahrhundertelang war dies die wichtigste Handelsroute der Welt und zu Zeiten von Dschingis Khan, Alexander dem Grossen und dem Turkmongolen Timur reisten tausende Karawanen auf der grossen Seidenstrasse von Ost nach West und zurück. Die Perlen, oder der so genannte “Dreiklang” der Seidenstrasse sind die Oasenstädte Chiwa und Buchara sowie die heimliche Hauptstadt Samarkand. Alle drei galten als reiche Handelsmetropolen. Die Architektur erinnert an eine hochstehende Kultur und wir fühlen uns mit den zahlreichen blau-türkisen Moscheen, Mausoleen und den mit Mosaiken geschmückten Medressen wie im Märchen aus tausendundeiner Nacht. Bei dieser Baupracht ist es kaum vorstellbar, dass hier während Jahrzehnten der sowjetischen Sozialismus geherrscht hat.
Chiwa beispielsweise präsentiert sich am Rande der Wüste wie ein Freilichtmuseum - mit einer Innenstadt aus Lehmbauten. Selbst bei den Spaziergängen im Abendlicht strahlen die ockergelben Mauern die Hitze des Tages ab. Obwohl es dem Klischeebild von tausendundeiner Nacht entspricht, mag man sich kaum ausmalen, wie Karawanen einst in dieser Glutofenhitze durch die Gassen gezogen sind. Die Name der Stadt stand früher auch für einen der berüchtigsten Sklavenmärkte in Zentralasien. Heute wird Geld mit bunten Seidentüchern und dicken Pelzkappen und -mäntel gemacht.
Auch in Buchara florierte früher der Handel zwischen West und Ost auf langen und abenteuerlichen Wegen und die Stadt hat bis heute den Charakter eines wild-orientalischen Marktplatzes. Autofrei und gemütlich spannt sich ein riesiges Netzwerk von miteinander verbundenen, gewölbeförmig überdachten Marktplätzen durch die Altstadt.
In Samarkand wiederum dominiert der Registan. Hier gruppieren sich drei riesige kunstvoll geflieste, mosaikverkleidete Medressen mit türkisfarbenen Kuppeln und gigantischen Eingangstoren zu einem eindrücklichen Ensemble. Der Registan gehört zu den imposantesten Plätze der Welt und wurde zwischen 1400 und 1600 erbaut. Über viele Jahrhunderte war er ein wichtiger Basar und eine Kreuzung im Zentrum der Handelswelt.
In allen drei Städten treffen wir immer wieder auf Katja und Ruben. Die Temperaturen sind tagsüber so unerträglich heiss, dass wir die Stunden in klimatisierten Hostels verbringen. Am Abend jedoch, da erobern wir gemeinsam die wunderbaren Dachterrassen und lassen uns vom orientalischen Duft der Küche verzaubern.
Die Seidenstrasse war der Anfang des Welthandels. Gegen Westen wurde hautpsächlich Seide und Gewürze, gegen Osten vor allem Wolle, Gold und Silber gehandelt. Mittransportiert wurden schon damals auf der gesamten Seidenstrasse Geschichten, Kunst, Sprachen, Philosophie und natürlich Religion. Der Islam ist präsent aber auch die Spuren des Buddhismus sind bis heute spürbar. Aus dieser Region stammen viele Gelehrte - Philosophen, Astronomen und Mathematiker -, die damals “weltbekannt” waren und bis nach Bagdad und Isfahan weitergezogen sind. Der Einfluss vieler Kulturen hat das Gebiet des heutigen Usbekistans geprägt. Vor allem die persischen und turkstämmige Völker haben Spuren hinterlassen. So fühlen wir uns in Samarkand, einer der ältesten bewohnten Städte der Welt, wieder in den Iran versetzt. Bis heute ist der Grossteil der Einwohner Samarkands aber auch Bucharas tadschikisch stämmig und spricht Tadschikisch, was wiederum die zentralasiatische Form von Persisch ist.
Begegnungen prägen unseren Aufenthalt in Usbekistan von Beginn an. So treffen wir auf vier einheimische Jungs an einem Fluss beim Campen. Sprachlich verstehen wir uns nicht, aber mit vollem Körpereinsatz, viel Gestiken und Mimiken und eine gute Stunde später wissen wir, wie wir an Diesel kommen und wie man den besten frittierten Fisch auf offenem Feuer zubereitet. Die Herzlichkeit der Usbeken erleben wir immer wieder.
In Nukus treffen wir auf Babur, einen 24-jährigen Usbeken mit sehr guten Deutsch-Kenntnissen. Er gibt uns tiefe Einblicke in das Leben der Menschen in Usbekistan und erklärt uns dabei auch, wie junge Leute immer noch gefangen sind in Traditionen und klassischen Rollenbildern. Warum der älteste Sohn mit Ehefrau bei den Eltern bleibt, bis ein jüngerer Bruder diese "Pflicht" übernimmt. Warum mindestens drei Kinder wichtig sind und warum man auch als erwachsener Mann für alles das Einverständnis der Eltern braucht.
Babur musste mit 20 Jahren heiraten, hat bereits einen Sohn, braucht aber noch zwei bis drei weitere Kinder, um „save“ zu sein. Insgeheim träumt Babur noch immer von Deutschland.
Oskar lernen wir in Samarkand kennen. Ein aufgeweckter junger Mann und gemäss allen Overlander-Apps der beste lokale Mechaniker der Stadt. Auch er musste sehr jung heiraten. Nach der Geburt eines Sohnes, bereits die Scheidung. Heute ist er mit einer Australierin verheiratet, hat zwei weitere Kinder und pendelt zwischen zwei Welten. Seine Familie lebt Down Under, er kümmert sich um die Eltern in Samarkand. „Besser ein schwacher Friede statt Krieg“, so sein Kommentar.
Was bleibt von dieser heissen “Tausendundeinernacht-Stimmung”? Eine positive Bilanz und eine Relativierung zu vielen Thesen und Behauptungen, die wir im Vorfeld aufgeschnappt haben.
- Ja, gewisse Strassenabschnitte sind eine Zumutung und Fidel musste einiges einstecken.
- Ja, die Temperaturen waren teils höllisch und wir konnten es kaum erwarten, in die Tadschikischen Berge zu flüchten.
- Zwar sind viele LKWs auf Gas umgerüstet und Diesel ist immer noch den Erntemaschinen vorbehalten. Immer mehr Tankstellen bieten heute aber importierten Diesel an – wenn auch in schlechter Qualität.
- Usbekistan ist einer der weltgrössten Baumwollproduzenten und für die jährliche Ernte im Herbst wurden auch Kinder und Jugendliche aus ihren Schulen einberufen. Babur und Oscar gehörten noch zu jenen, die auf den Baumwollfeldern ein gewisses „Pflücksoll“ erfüllen mussten. Aufgrund des internationalen Drucks wurde diese Praxis 2012 aber offiziell gestoppt und die Regierung fokussiert stattdessen auf Gruppen von Menschen, die von staatlichen Zuwendungen abhängig sind.
Bleibt noch das Gerücht mit dem Verdauungstrakt: - Ja, einige, die wir unterwegs getroffen haben, hats irgendwie erwischt und von zahlreichen Reisenden haben wir ähnliche Stories gehört. Es scheint in der Tat nicht einfach zu sein, ohne Durchfallerkrankung diese Tour zu überstehen. Aber wir sind durch. Gesund und munter und neugierig auf Tadschikistan und den Pamir Highway!
Comments