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AutorenbildFässlerA-way

Bilanz nach 100 Tagen on the road oder: „Was macht ihr eigentlich den ganzen Tag?“

Aktualisiert: 12. Okt. 2019


Die Vorstellung an sich ist romantisch: man baut einen Landcruiser zu einem Reisemobil aus, packt ein paar Sachen und fährt einfach los. Man sucht sich einsame Plätze, entdeckt spannende Städte und bleibt, wo es einem gefällt. Man trifft wunderbare Menschen, isst sich kulinarisch durch alle Gegenden und ist einfach nur glücklich und entspannt. So weit so gut.



Einmal unterwegs, merkt man ganz schnell, dass Reisen eben keine Ferien sind, dass sich Tempo und Tatendrang nicht einfach so entschleunigen lassen, dass man sich erst aneinander gewöhnen muss, wenn man 24/7 auf engstem Raum bei Wind und Wetter zusammen unterwegs ist. Und dass man zwar auf Vieles vorbereitet, aber dann doch auf noch mehr nicht gefasst ist.


Keinen Einfluss hat man beispielsweise auf den Strassenzustand. Da quält man sich auch mal 200 Kilometer über einen schmalen Asphalt-Streifen, der mit tiefen Schlaglöchern übersät ist – bei 45°Grad und mit 20km/h versteht sich (nein, eine Klima-Anlage hat Fidel nicht...). Oder die Schotterpiste, die sich über einen Pass schlängelt und wegen des starken Schneefalls zum Bergbach wird.

Und dann sind wir schon beim Wetter, einer weiteren Unbekannten auf der Reise. Wir hatten alles in diesen ersten 100 Tagen: Von -15° Grad bis an die +50° Grad, geprägt von Sonnenschein, Schneestürmen, Sandstürmen, Sturmwinden und schweisstreibenden Tropennächten. Und das Hubdach ist letztlich eben doch nur ein Zelt – mit allen Vor- und Nachteilen.



Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung gehört für alle Reisen zu den intensivsten Erfahrungen – ob positiv oder negativ. Das trifft auch auf uns zu. Die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, mit der wir in vielen Ecken dieser Reise nahezu überschüttet wurden, hat uns schlicht sprachlos gemacht. Fremde Menschen laden zum Essen ein, bringen Tee oder selbstgemachten Kuchen, drücken einem auch mal ein Kilo Tomaten oder eine Flasche eisgekühlten Vodka in die Hand. Sie strahlen, freuen sich über jeden „Weitgereisten“, sind neugierig. Man unterhält sich mit Händen und Füssen und versteht sich. Hier lernt man: der Mensch ist gut und die Welt ist ein wunderbarer Ort!



(Und dann gibt es noch russische Polizisten am Strassenrand, aber das ist eine andere Geschichte.)


Der Alltag unterwegs musste sich erst einpendeln und ist bis jetzt geprägt von unzähligen organisatorischen Entscheidungen. Viel Zeit nimmt die Routenplanung, das Einkaufen, Holz sammeln, Kochen, Aus- und Zusammenräumen in Anspruch.




Und ja, ein paar Dinge laufen nicht wie geplant. So haben wir das Visum für Turkmenistan im letzten Moment doch nicht erhalten und mussten eine Alternativroute ums Kaspische Meer wählen. Zusätzliche 2000 Kilometer über Dagestan und das Wolgadelta. Oder: Die Hauptstrasse in der iranischen Wüste Lut war kaputt und damit eine 5-tägige Wüstentour nicht machbar. Das Fastenbrechen nach dem Ramadan hätten wir bei einer Familie in Nord-Teheran verbringen sollen. Ein Onkel war dagegen und am Morgen des Feiertages hat man uns kurzfristig wieder aus dem Haus ausquartiert. Spontan sind wir bei einer ziemlich coolen Truppe auf einer Farm ausserhalb Teherans gelandet – unvergesslich - und haben darauf zwei Nächte in einer original iranischen 70er Jahre Villa am Kaspischen Meer verbracht - legendär. Es lebe das Unerwartete.



Alltag heisst auch Hygiene. Oft werden wir gefragt, wie wir das eigentlich unterwegs machen mit Duschen und WC. Unser Militär-Wassersack auf dem Autodach ist Gold wert und Duschen unter freiem Himmel inmitten einer endlosen Wüste bei aufgehendem Vollmond schlicht ein Traum. Wenn man bei rund 50°C in der windigen Wüste die Tage kriegt, wird’s dann eher unangenehm, aber aushaltbar. Ein WC hat unser Fidel nicht und wir helfen uns mit einem Klappspaten. Dadurch genossen wir schon mehrmals grandiose „Loo with a view“-Momente! Selbsterklärend, dass unsere DNA weit über den Kontinent verteilt ist...

Ein guter Tag beginnt bekanntlich mit einer guten Nacht. Ruhige Plätze sind ein Segen, die Sonnenuntergänge, der Mondschein oder der Sternenteppich am Himmel oft atemberaubend. Doch gerade in den Wüsten oder in der Steppe ist es oft windig und das Hubdach ist diesem Wind ausgesetzt. Die Zeltplane des Hubdachs flattert laut und Fidel schaukelt uns entsprechend in den Schlaf. Inmitten von Städten leisten zwar Ohropax gute Dienste, doch wenn die Hunde bellen und die Jugend mit ihren Autos die halbe Nacht Bremsmanöver rund um uns üben, dann zerrt dies an den Nerven.



Freie Zeit ist selten, so etwas wie Langeweile gibt es bis jetzt nicht. An vieles muss man denken. Gerade das Tanken kann eine Herausforderungen sein. Im Iran braucht man für Diesel eine Tankkarte, die jedoch für Touristen nicht erhältlich ist. Also ist man auf die Truck-Fahrer angewiesen und bettelt sich so von Tankstelle zu Tankstelle. Bis vor kurzem war in Usbekistan Diesel nur in abgefüllten PET-Flaschen auf dem Schwarzmarkt zu kriegen. Diese Situation verbessert sich offensichtlich langsam – wir konnten an zwei Tankstellen Diesel regulär beziehen.


Eine der Hauptfragen ist stets: wie lange bleiben wir an einem Ort? Unser Tempo war in den ersten 100 Tagen recht hoch. Das hängt einerseits mit unserer Entdeckungslust und viel Tatendrang zusammen. Andererseits sind wir auch klimatischen Faktoren ausgeliefert. Gerne hätten wir im Iran um ein bis zwei Monate verlängert, aber dann wäre es eng geworden für den Pamir Highway in Tadschikistan oder wir wären zu spät in Sibirien angekommen oder womöglich schon in der Mongolei im Schnee stecken geblieben (das alles kann übrigens immer noch passieren). Immer zur klimatisch perfekten Zeit am richtigen Ort zu sein, ist auch mit der besten Planung kaum umzusetzen – jedenfalls nicht mit dem eigenen Auto und den vorgefundenen Strassenbedingungen. Gelassenheit ist gefragt.


Wie sehen die nächsten 100 Tage aus? „Keine Ahnung“, wäre die gewünschte Antwort. Aber wenn wir vor Einbruch des Winters den Pamir Highway in Tadschikistan fahren wollen, mit Pferden in den Bergen Kirgistans von Jurte zu Jurte ziehen wollen, die Nationalparks Kasachstans erkunden wollen, quer durch die Mongolei navigieren oder in Russland das Altai-Gebirge und den Baikal-See sehen wollen, dann ist eine gewisse Planung eben doch wieder unerlässlich. Das Dilemma der Routenwahl und des richtigen Tempos bleiben. Die grosse Reisefreude und Abenteuerlust ebenfalls. Auf die nächsten 100 Tage!



Worauf wir nicht mehr verzichten möchten:

- Die Standheizung!! Ohne die Planar Ural hätten wir die Reise wohl schon abgebrochen.

- Getönte Scheiben. Das bisschen Privatsphäre ist Gold wert.

- Notfall-Dreibein-Klo mit entsprechenden Säcken. Wenn sich draussen mal wieder die Leute um Fidel scharren und man dringend muss.

- Die Reise-Karte auf unserer Motorhaube! Das hat uns am Zoll, bei der Strassenpolizei oder sonstigen Behörden schon für viel Sympathie (oder Mitleid) gebracht und uns so manchen Grenz-Übergang erleichtert. Man kann auch erklären, wo diese Schweiz eigentlich wirklich liegt...

- Die AluCab-Markise 270°. Wie oft wurden wir um unseren grosszügigen und leicht aufbaubaren Schatten beneidet!


Was wir vermissen:

- Wir hätten eine Klima-Anlage einbauen sollen. So der klare Tenor im Iran und in Usbekistan. Jetzt in Tadschikistan ist der Wunsch nicht mehr ganz so gross.

- Freunde und Familie! Aber dank günstigsten SIM-Karten ist der Kontakt gut überbrückbar.


Unsere 3 Highlights:

- Der Vashlovani Nationalpark in Georgien

- Die Menschen im Iran (und die Nächte in den dortigen Wüsten)

- Die kristallklaren Seen und dörflichen Szenerien im Fann-Gebirge in Tadschikistan



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